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22. Januar 2024 | Stadtplanung

Die „vertikale Stadt“

Neue Wege für eine moderne und innovative Stadtplanung – Planungskultur in der City Berliner West

Im Sommer 2022 veranstaltete das Werkstadtforum der City West einen internationalen Workshop mit dem Titel: „Konzepte der vertikalen Stadt und die möglichen Auswirkungen auf die Städte der Zukunft.“ Die positiven Impulse, die Dank der Vorträge von Prof. Alessandro Melis New York Institute of Technology, Jos Melchers, Leiter für Gebietsentwicklung im Bereich Stadtentwicklung in Rotterdam, Julia Gottstein, Architektin und Associate bei UNStudios, einem internationalen Architekturbüro in Rotterdam und der renommierte Stuttgarter Architekt Prof. Dr. Werner Sobek entstanden, wirken bis heute nach und beeinflussen die Diskussion um die Hochhausentwicklung in der Berliner City West.

Anlässlich der Aktualität betont der folgende Artikel erneut die Bedeutung des Themas „Die vertikale Stadt vs. horizontale Stadt“ im Kontext der Debatte zur Stadtentwicklung in der Berliner City West.

Eine Standortbestimmung

Wir leben in einer Zeit, die durch globale Krisen gekennzeichnet ist und in der die notwendigen Veränderungen zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung zeitnah umgesetzt werden müssen. Prof. Dr. Werner Sobek formulierte hierzu jüngst in seinem Buch non nobis – über das Bauen in der Zukunft (2022): „Bei einem Weiter-so-wie-bisher wird die Menschheit demnach die Schranke des 1,5 Grad Celsius Ziels zum Ende des Jahres 2027 erreicht haben.“

Die Folgen des Klimawandels spüren wir heute schon. Die intensive Nutzung und Versiegelung der Böden durch den Menschen tragen zu einer weltweiten Desertifikation von Landflächen und dem dramatischen Rückgang der Artenvielfalt bei. Vegetation und Wasser werden zu Mangelgütern, Böden erodieren, versalzen oder versanden. Kurz gesagt: Das Land wird unfruchtbar und verödet. Die Bewohner dieser Gebiete wandern ab. Sie machen einen großen Teil der Klimaflüchtlinge in der Gegenwart und Zukunft aus. Klimaflüchtlinge werden zunehmend in die Städte und Metropolregionen Europas wandern.

Diese dramatischen Veränderungen der Umwelt hängen auch ursächlich mit der Tatsache zusammen, wie wir unsere Städte und Siedlungen weltweit planen und bauen. Prof. Dr. Werner Sobek schreibt hierzu:

„Das Bauwesen ist wesentlich für 60 % des Ressourcenverbrauchs, für rund 50 % des Abfallaufkommens, für mehr als 50 % der Emissionen von klimaschädlichen Gasen und für mehr als 35 % des Energieverbrauchs verantwortlich“.

In Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten dank zahlreicher Initiativen aus Umweltverbänden, Politik und Zivilgesellschaft der Umweltschutz in unsere bestehenden Gesetze integriert.

Ein Blick in unsere Gesetzgebung lohnt sich. Denn im Baugesetzbuch finden wir bereits bei der Definition der Aufgaben und Zielsetzungen bemerkenswerte Festlegungen, insbesondere für die kommunale Bauleitplanung. Dazu heißt es im Baugesetzbuch (BauGB) §1 – Aufgabe, Begriff und Grundsätze der Bauleitplanung:

„(…) Sie (Bebauungspläne) sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln. Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen.“

Darüber hinaus ist im BauGB unter § 1a – Ergänzende Vorschriften zum Umweltschutz Folgendes festgesetzt:

„Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen.“

Besser kann man den Anspruch an Umweltschutz und den Grundsatz der Innenentwicklung vor der Außenentwicklung der Städte und Kommunen nicht formulieren. Ist diese Festlegung im BauGB nicht auch die Aufforderung zur Überprüfung der Innenentwicklung von Berlin? Insbesondere zum vertikalen Umbau der Stadt auf bereits versiegelten und bebauten Grundstücken?

 

Perspektiven auf zukünftige Quartiersentwicklungen: Horizontal versus vertikal

Wir denken bei der „vertikalen Stadt“ immer an Hochhausstädte wie New York oder Shanghai. Hochhausstädte wie sie in Amerika und Asien entstanden sind prägen mit einigen Ausnahmen wie Frankfurt am Main oder Rotterdam nur selten die Stadtsilhouette europäischer Städte.

Die Kritik am Hochhaus, etwa als isoliertes Gebäude ohne Bezug zum städtebaulichen Bestand einer Stadt, ist berechtigt. So fordert Richard Sennett in seinem Buch Die offene Stadt (2018): „Statt der alten Hochhäuser mit ihrem das Innere isolierenden Haupteingang und ihrem voneinander getrennten, übereinandergeschichteten Stockwerken kann man Hochhäuser mit einem vertikal durchlässigeren Design bauen“. Richard Sennett verweist dabei auf das in New York errichtete Hochhaus für die New York Times. Dieses Hochhaus besticht durch seine offene Lobby und transparente Fassade. Das Gebäude steht nicht isoliert im Kontext der umgebenden Bebauung, sondern fügt sich ein und korrespondiert mit der Nachbarbebauung von Manhattan.

Amerikanische Städteplaner haben längst erkannt, dass es neue städtebauliche Konzepte zur Integration von Hochhäusern im Stadtkörper einer Stadt bedarf. Ein aktuelles Beispiel ist das im Nordosten von Manhattan errichtete Hochhaus vom renommierten Architekturbüro Diller Scofido + Renfro. Dieses etwa 60 Meter hohe Hochhaus wurde für die Medizinfakultät der Columbia Universität von New York gebaut. Das Besondere ist auch hier die offene Lobby mit einem Platzbereich und die scheinbare Faltung der einzelnen Etagen, die sich als offene Glasbaukörper über alle Etage entwickeln. Vorlesungen und Veranstaltungen lassen sich so besser von außen erkennen. Das Gebäude fügt sich städtebaulich in die gründerzeitliche Bebauung in der unmittelbaren Nachbarschaft ein.

In Europa wird seit langem über die „vertikale Stadt“ und deren Hochhäuser gestritten bzw. experimentiert. Der niederländische Architekt Rem Koolhaas war einer der ersten Architekten, der die Notwendigkeit eines neuen Hochhaustyps in Form einer „vertikalen Stadt“ gefordert und entworfen hat. Er entwickelte 2013 mit seinem Büro OMA ein sehr ambitioniertes Hochhausprojekt in Rotterdam namens „De Rotterdam“. Auf einem Sockelgebäude wurden drei Hochhäuser in unmittelbarer Nähe zueinander gebaut. Betrachtet man das Projekt von außen, so fällt sofort die provokante Nähe zwischen den Türmen auf. Das Einsehen der Nutzungen ist gewollt, wie bei einer dicht gebauten horizontalen Stadt. Die Nutzungsmischung aus Hotel, Wohnen und Büro, Einzelhandel und Gastronomie spiegelt die Stadt wider. Eine Provokation von urbaner Dichte und Nähe, die eine europäische Stadt braucht.

In Deutschland entsteht gerade in der Hochhaustadt Frankfurt am Main das Projekt FOUR. Das international anerkannte Architekturbüro UNStudio hat auf einem Sockelgebäude vier unterschiedliche Hochhäuser zwischen 100 bis 228 m Turmhöhe entworfen. Auch hier wurde eine urbane Nutzungsmischung aus Büro, Wohnen, Hotel, Einzelhandel, Gewerbe und Kindergarten entwickelt. Hochhäuser heutiger Zeit müssen die urbane Vielfalt europäischer Städte vertikal widerspiegeln.

In Berlin wird seit 100 Jahren über den Sinn und Unsinn von Hochhäusern gestritten – wie in keiner anderen deutschen Stadt. Dennoch entstehen auch hier neue Hochhauskonzepte, wie etwa am Alexanderplatz. Grundlage der Hochhausplanungen ist der Masterplan von Hans Kollhoff und Helge Timmermann aus dem Jahr 1993.

Streit gibt es hier immer wieder zwischen Vorhabenträgern und der Senatsbauverwaltung um die Höhe der geplanten Hochhäuser. Die städtebauliche Qualität der Hochhäuser sollte sich durch die Reduzierung der Höhen weiter verbessern, so glaubte es zumindest die ehemalige Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Statt über eine urbane und angemessene vertikale Verdichtung im Kontext der Bebauung am Alexanderplatz zu debattieren, wurde über eine absurde Höhendiskussion der geplanten Hochhäuser im Kontext zum Fernsehturm gestritten. Dabei fiel die Debatte über die Frage nach der Nutzungsprogrammierung der Hochhäuser viel zu kurz aus.

Ein positives Beispiel für die „vertikale Stadt“ entsteht dennoch am Alexanderplatz durch das Berliner Architektenbüro Sauerbruch & Hutton. Auf einem fünfgeschossigen Sockelgebäude, in dem Einzelhandelsflächen und Wohnungen entstehen, wird ein Zwillingsturm bis zu einer Höhe von 130 m errichtet. Besonders gelungen ist dieses Beispiel, weil dieser Hochhauskomplex mit der vorhandenen Bebauung städtebaulich im Kontext steht und das Wohnen am Alexanderplatz berücksichtigt. Die hybride Nutzungsprogrammierung von Wohnen und Gewerbe in der Vertikalität ist die richtige Antwort, um dem erforderlichen Wohnungsbau in Berlin eine Chance zu geben und die sogenannte 15-Min-Stadt, d.h. die Stadt der kurzen Wege, am Alexanderplatz zu realisieren.

Die „vertikale Stadt“ ist mehr als nur die Entwicklung von Hochhäusern. Anstatt die Gesamtfläche einer Stadt auszudehnen, wie dies bei der traditionellen horizontalen Urbanisierung der Fall ist, wird bei der vertikalen Urbanisierung in einer Mischnutzung aus Einzelhandel, gewerblichen, sozialen, kulturellen Einrichtungen und der Wohnnutzung nach oben gebaut. Dadurch kann mehr Platz auf einer geringeren Fläche geschaffen werden. Genau dieser nachhaltige Aspekt wird im Grundsatz vom BauGB gefordert.

Berlin und insbesondere die City West hat noch ein enormes Potential zur städtebaulichen Nachverdichtung. Viele Grundstücke in der City West, insbesondere jene Grundstücke, die eine ehemalige Nachkriegsbebauung aufweisen, sind hierfür geeignet. Berlin ist eine wachsende Stadt mit großem Nachholbedarf beim Thema Wohnungsbau. Sie kann diesen Nachholbedarf flächenschonend in dafür ausgewiesenen urbanen Gebieten abdecken.

Dabei geht es nicht darum, die historische Stadt durch Hochhäuser zu überformen, wie es oft von Kritikerinnen und Kritikern aus dem Bereich der Denkmalschutzverwaltungen behauptet wird. Hochhäuser können im städtebaulichen Kontext zur Akzentuierung der Stadtsilhouette beitragen.

Die Entwicklung von Zielen für die „vertikale Stadt“ setzt ein qualitativ hochwertiges Regelwerk voraus. Dabei steht der Mensch im Mittelpunkt dieses Regelwerkes. Regelwerke sehen eine genaue Analyse der Stadt, des Quartiers und der Straße eines Hochhausstandortes vor. Hierauf aufbauend werden Programmierungen und Kubatur entwickelt. Dabei ist immer wieder der Mehrwert (soziale Interaktion, öffentliche Nutzungen, nachhaltige Bauweise) für die Gesamtstadt in allen Themenfeldern zu berücksichtigen. Dazu gehören nachhaltige städtebauliche Indikatoren und Zielsetzungen, wie sie auch in der Charta City West entwickelt wurden.

Quelle: Städtebaulicher Rahmenplan City West 2040, Werkstadtforum, UNSTUDIO

Die öffentliche Verwaltung muss im Rahmen ihrer Planungshoheit den städtebaulichen und genehmigungsrechtlichen Rahmen durch städtebauliche Testentwürfe, Rahmenpläne und daraus resultierende Verfahren setzen. In Berlin wurde dieses durch das sogenannte Hochhausleitbild 2020 beschlossen. Es setzt den strategischen Rahmen für den Umgang mit Hochhausvorhaben seitens der Politik, der Verwaltung und der Investoren mit dem Ziel, Mehrwerte für die vielfältigen Bedürfnisse der Stadtgesellschaft zu schaffen. So heißt es im Hochhausleitbild von Berlin:

„Die physische Präsenz und Wirkmächtigkeit von Hochhäusern im Stadtbild begründen besonders hohe Ansprüche an städtebauliche Integration, Architektur, Ästhetik, Nachhaltigkeit, Freiraumgestaltung und Erschließungsqualität.“

Im Hochhausleitbild ist insbesondere die Forderung eines Nutzungsmixes von besonderer Relevanz. Hier wird die Mischung von Gewerbe und Wohnen und die öffentlich zugänglichen oder gemeinschaftlichen Nutzungen vorzugsweise im Erdgeschoss und im obersten Dachgeschoss gefordert.

So begrüßenswert die Festlegungen im Hochhausleitbild sind, die daraus geforderten Planungsprozesse führen zu unendlich langen Planungs- und Genehmigungsverfahren. In vier sogenannten Phasen werden von der ersten Projektidee, der gesamtstädtischen Betrachtung eines Projektes, über die Aufstellung eines vorzugsweisen vorhabenbezogenen Bebauungsplans sowie der Durchführung eines städtebaulichen und eines Realisierungswettbewerbes mit diversen Abstimmungen im Baukollegium Jahre vergehen, bis es zum eigentlichen Bauen des Hochhauses kommt.

Angesichts der viel zu langen Planverfahren und angesichts der Krisen dieser Zeit benötigen wir schnellere und innovativere Planverfahren.

Ein Beispiel, wie eine schnelle gesamtstädtische Betrachtung von Hochhausprojekten stattfinden kann, hat das Werkstadtforum mit der Erarbeitung des städtebaulichen Rahmenplanes für den Interventionsraum I dargestellt.

 

Rahmenplan Interventionsraum I

Der Rahmenplan wurde als städtebaulicher Testentwurf für den Bereich Hardenbergplatz, Breitscheidplatz und Los Angeles Platz entwickelt. Grundlagen waren zum einen die unterschiedlichen Projektstände der Vorhabenträger für den Bereich Europa Center, Iva Bogen und Karstadt zum anderen die Charta City West und das Mobilitätskonzept. Maßgeblich war darüber hinaus auch das städtebauliche Leitbild City West und die darin festgelegte Schwerpunktsetzung der Hochhäuser um den Nukleus Breitscheidplatz.

Die „vertikale Stadt“ sollte in diesem Bereich durch einen städtebaulichen Entwurf untersucht werden. Dabei sind vor allem die Ziele für die „vertikale Stadt“ aus der Charta City West umzusetzen. Besonders erwähnenswert sind die Ziele aus der Charta City West bezüglich des Handlungsfeldes Städtebau und Architektur. Dort finden sich folgende Zielsetzungen:

  • Die City West hilft durch ihren innovativen Städtebau dabei, die Reurbanisierung zu fördern und die Suburbanisierung zu stoppen (Ziel 69).
  • Die City West stärkt ihre Zentren-Funktion und schafft urbane Strukturen durch großstädtische Dichte, bauliche Masse und funktionale Komplexität (Ziel 70).
  • Die City West setzt primär auf vertikale Verdichtung, um Baulandentwicklung auf Naturböden sowie Grün- und Freiflächen zu vermeiden, die stadträumliche Identität zu erhalten und den historischen Stadtsockel zu schützen (Ziel 71).

Diese Zielsetzungen bilden neben den Zielsetzungen aus den übrigen Handlungsfeldern, wie Mobilität und Stadtökologie, eine wichtige Aufgabenstellung für den städtebaulichen Rahmenplan.

Quelle: Städtebaulicher Rahmenplan City West 2040, Werkstadtforum, UNSTUDIO

Warum ein Rahmenplan?

Der städtebauliche Rahmenplan ermöglicht die Darstellung vielfältiger und komplexer Maßnahmen aus den Handlungsfeldern der Charta City West 2040 am Beispiel der Pilotprojekte im Kontext zum öffentlichen Raum. Er betrachtet vor allem die Pionierprojekte im räumlichen und funktionalen Zusammenhang als städtebaulicher Testentwurf. Er qualifiziert die dazwischenliegenden, öffentlichen Räume und Plätze, wie etwa den Hardenbergplatz, im Kontext zum Breitscheidplatz und Los Angeles Platz. Darüber hinaus werden verschiedene Nutzungsoptionen für die unterschiedlichen Projektplanungen mit der technischen und sozialen Infrastruktur gespiegelt. So entstehen neue Nutzungsideen und Synergien zwischen den Pionierprojekten und dem öffentlichen Raum. In einem Bebauungsplanverfahren wären, aufgrund des kleineren Geltungsbereiches des Bebauungsplanes, diese Synergieeffekte nicht erkannt worden.

Auch die Vermeidung von nachteiligen Auswirkungen durch die Projektplanungen sind im Rahmenplan besser darstellbar und diskutierbar.

Im Rahmenplan konnten so folgende Mehrwerte für die Menschen in der City West entwickelt werden:

  • Etwa 500 bis 800 neue Wohneinheiten (inklusive studentischem Wohnen)
  • Büroräume für etwa 11.000 neue Arbeitsplätze
  • Neuausweisung von 16.700 qm für Kunst, Kultur und Events
  • Circa 800 neue Stadtbäume
  • Über 2 ha neue, grüne Freiflächen allein auf Dächern

Der Rahmenplan ist ein erster Entwurf für eine mögliche Zukunft der Berliner City West. Er dient als Diskussionsgrundlage für die verschiedenen Akteurinnen und Akteure der City West.

 

Den Blick für die Maßstäblichkeit und Resonanz der Stadt nicht verlieren

Neben den großen Stadtumbauprojekten ist es wichtig, den Blick für städtebauliche Interventionen im kleinen Maßstab nicht zu verlieren. Hierzu ist als Beispiel insbesondere das Projekt „Pavillongebäude auf dem Mittelstreifen“ im Bereich Tauentzien geeignet. Im Rahmen einer Initiative aus benachbarten Eigentümern und der Verwaltung wurde diese Maßnahme entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Pavillongebäude mit einer gastronomischen Nutzung, das in einer Holzbauweise mit begrüntem Dach gebaut werden soll. Dieser Pavillon wurde aufgrund seiner Größe und städtebaulichen Wirkung von den zuständigen Ämtern zunächst abgelehnt.

Die City West als bekannter Einzelhandelsstandort ist weiterhin von der Belastung der Coronapandemie betroffen. Es besteht somit fortlaufend die Verantwortung, den Standort zu unterstützen. Der Pavillon stellt dabei eine geeignete städtebauliche Intervention dar, um einerseits den Mittelstreifen als Ort der Begegnung hervorzuheben und um andererseits Synergien zum Einzelhandel vor Ort zu erzeugen. Eine derartige temporäre Bebauung wäre in Städten wie Paris und Barcelona längst für die Bürgerinnen und Bürger genehmigt worden.

Kunst-Interventionen sind weltweit eine wichtige Maßnahme, um das öffentliche Leben nach Corona wieder zu aktivieren. Auf dem Grünstreifen zwischen Wittenbergplatz und Uhlandstraße haben 14 Künstlerinnen und Künstler aus den Graffitihochburgen New York, Sao Paulo, Amsterdam, Paris und Berlin Installationen als U- Bahn-Züge, Kästen und Häuserfassaden besprüht. Die 19 Nachbauten aus Holz spiegeln originale Schauplätze der Graffiti-Kultur wider und zeigen die bekanntesten Wahrzeichen der Graffiti-Metropolen. Diese im Sommer 2022 durchgeführte Kunstaktion hat zur Belebung der City West beigetragen.

Die Pandemie hat uns gezeigt, dass die Stadt für die Menschen wieder als Ort von Erlebnissen und als Heimat erlebbarer werden muss. Der bekannte Soziologie Hartmut Rosa schreibt dazu: „Als Heimat bezeichnen wir das Resonanzverhältnis zu einem anverwandelten Stück Welt – klassischerweise einem Ort, an dem die Dinge zu uns sprechen und uns etwas sagen: der Baum, der Bach, das Haus – oder auch: die Tankstelle, der Fabrikschornstein und das Fastfood-Restaurant. Sie sprechen deshalb, weil sie Resonanzen in unserer je eigenen biographischen Erinnerung und zu denjenigen Menschen, mit denen uns eine gemeinsame Geschichte verbindet, auszulösen“ Hartmut Rosa; Resonanz: S.602.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Stadt immer auch Heimat für alle Menschen ist. Gebäude, Plätze und Straßen müssen Emotionen und Lebensgeschichten für Menschen ermöglichen.

 

Aus den vorher erläuterten Gedanken und Reflexionen zur Stadtentwicklung in der Berliner City West ergeben sich folgende 5 Thesen:

  • These 1: „vertikale Stadt“ / „vertikales Quartier“ ist nicht gleich Hochhausstadt/ Hochhausquartier.
  • These 2: Bewohnerinnen und Bewohner müssen im Mittelpunkt des Quartiers stehen. Der Mensch steht im Mittelpunkt.
  • These 3: Die Umsetzung einer Quartiersentwicklung kann nur auf Grundlage eines zivilgesellschaftlichen Prozesses erfolgen.
  • These 4: Neue zivilgesellschaftliche Formate können den Planungsprozess zum Umbau unserer Städte qualifizieren und beschleunigen.
  • These 5: Wir müssen Quartiere planen und bauen, die in uns Menschen Resonanzen auslösen. So werden Quartiere zu einem Ort unverwechselbarer Heimat.

Die Debatte um die Planung der Stadt in der City West muss vorurteilsfrei und ohne ideologische Unterstellungen zivilgesellschaftlich geführt werden. Das Werkstadtforum wird diesen Diskurs weiterführen.

Quelle: Städtebaulicher Rahmenplan City West 2040, Werkstadtforum, UNSTUDIO

Schlussbetrachtung

Die Planung für einen Stadtumbau von Berlin bezüglich einer klimagerechteren und nachhaltigeren Stadt scheint gerade angesichts der komplexen Planverfahren und der politischen Debatten bis 2030 nicht umsetzbar. Stadtplanung, insbesondere die Stadtplanung der öffentlichen Verwaltung, versteht sich in Berlin immer mehr als Gralshüter der Abwägung aller Belange und ist durch den zunehmenden Einfluss von rechtlichen und gerichtlichen Entscheidungen, Belangen und Anforderungen nicht mehr in der Lage, neue innovative und schnelle Projektentwicklungen zum Umbau unserer Städte zu gewährleisten. Darüber hinaus befindet sich die öffentliche Verwaltung in Berlin in einem Krisenmodus. Personalknappheit, Pandemie, Energiekrise, Kriegsflüchtlinge, Wohnungsnot und zuletzt auch noch die Wahlwiederholung binden Verwaltungskapazitäten.

Die Instrumente der Stadtplanung resultieren aus dem vorherigen Jahrhundert. Zwischen Flächennutzungsplan und Bebauungsplanung gibt es nur wenige Möglichkeiten innovative und zeitgemäße Planungsinstrumente neu zu entwickeln. Ein innovatives Instrument sind die städtebaulichen Entwicklungskonzepte bzw. sonstigen städtebaulichen Rahmenplanungen der Bezirke, wie etwa die Bereichsentwicklungsplanung, die der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf derzeit für einen wichtigen Teilbereich um den Breitscheidplatz entwickelt. Dabei handelt es sich um jenen Bereich, den das Werkstadtforum vor zwei Jahren umfänglich im Rahmen eines zivilgesellschaftlichen Prozesses untersucht hatte.

Stadtplanung in Berlin ist immer auch Teil der öffentlichen Debatte und wird dementsprechend baupolitisch gesteuert. Dies gilt es nicht infrage zu stellen. Allerdings wird der Ruf nach neuen Formaten der Beteiligung der Zivilgesellschaft bei Planungsprozessen immer lauter.

Die politische Diskussion über die Enteignung von großen Wohnungsbaugesellschaften und das Verhindern von privaten Projektentwicklungen, die politisch nicht opportun sind, prägen neben den großen Diskussionen über die Entwicklung von neuen Stadtquartieren, wie etwa dem Tempelhofer Feld oder der Elisabeth-Aue, die städtebauliche Diskussion und lähmen den Blick auf die Zukunft der Stadt.

Stadtplanung versteht sich oftmals aufgrund der politischen Vorgaben als abwehrende öffentliche Planung gegenüber privaten Interessen bei der Grundstücksentwicklung. So werden oftmals langwierige Workshopverfahren, Wettbewerbe, Gutachten und Prognosen verlangt, bevor es dann in das eigentliche Verfahren zum Bebauungsplan kommt. Manche Verfahren dauern zwischen fünf und 10 Jahre. Die Frage der Beschleunigung von Planungsprozessen, insbesondere bei der Bauleitplanung, ist existenziell, wenn diese Stadt den Umbau hin zu einer klimagerechteren und nachhaltigen Stadt bis 2035 schaffen will. Dementsprechend war die Beschleunigung der Bauleitplanung sogar Gegenstand der letzten Koalitionsvereinbarung zur Senatsbildung des Landes Berlin. Wir benötigen neue digitale Beteiligungs- und Planverfahren in der Bauleitplanung.

Eigene öffentliche Planungsprozesse aufzusetzen, wie es das BauGB verlangt, ist der richtige Weg, aber Stadtplanung sollte immer im Prozess mit allen Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft vorurteilsfrei von politischen Vorgaben verhandeln.

Stadtplanung muss wieder den Mut haben, städtebauliche Themen eigenständig im Rahmen von zivilgesellschaftlichen Formaten zu formulieren und aktiv umzusetzen.

Der Mensch steht im Mittelpunkt bei der Gestaltung der Zukunft dieser Stadt. Diese simple aber scheinbar vergessene Zielsetzung zeigt sich auch bei der Diskussion um den Umbau der Berliner City West, insbesondere durch die Entwicklung von neuen Hochhäusern innerhalb der vorhandenen Quartiere.

Die oftmals verkürzte städtebauliche Debatte über einzelne Hochhäuser, ohne städtebauliche Betrachtung im Kontext der Umgebung und ohne Nutzungsprogrammierung, war für das Werkstadtforum Grund, sich dieser Thematik anzunehmen und einen eigenen Vorschlag hierzu zu entwickeln. Das WSF hat überparteilich auf der Grundlage der Charta City West einen städtebaulichen Rahmenplan erarbeitet, der in seiner städtebaulichen Dimension und Zielsetzung in dieser Weise bisher in der City West nicht entwickelt wurde. Doch das Misstrauen in Teilen der Politik und öffentlicher Verwaltung gegenüber diesem Rahmenplan ist groß. Denn dieser Rahmenplan wurde aus ihrer Sicht „nur“ von Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft erarbeitet.

Politik und öffentliche Verwaltung dürfen nicht länger zivilgesellschaftlichen Formaten wie dem WSF misstrauen, wenn sie wollen, dass Stadtentwicklung mehr ist als nur die Umsetzung baupolitischer Parteiprogramme. Die Parteien haben das gesellschaftliche Vertrauen von Wählerinnen und Wählern für eine Wahlperiode. Stadtentwicklung dagegen ist auf längere Entwicklungszyklen angelegt.

Wir benötigen wieder mehr Vertrauen in unsere Gesellschaft unabhängig von Wahlen. Dazu benötigen wir einen überparteilichen Konsens in unserer Gesellschaft (Consensus Omnium). Dieser gesellschaftliche Konsens muss von Neuem erarbeitet werden. Parteipolitik ist ein wichtiger Teil der Gesellschaft, aber sie bildet diese nicht in Gänze ab. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit. Deshalb können zivilgesellschaftliche Formate wie das Werkstadtforum diese Ergänzung bilden: Partnerschaftlich und in kritischer Distanz, aber mit dem Ziel, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. „Das Ziel einer demokratischen Debatte ist die Wahrheitsfindung durch Anhörung von Gründen“, schreibt Markus Gabriel in seinem Buch Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten.

Ausdrücklich möchten wir an dieser Stelle allen Fraktionen, die in den letzten Jahren an der Debatte im Werkstadtforum teilgenommen haben, danken!

Eine ehrliche und nachhaltige Debatte um einen lebenswerten Stadtumbau in der Berliner City West kann nur im gemeinsamen überparteilichen Diskurs gelingen. Die „vertikale Stadt“ ist dabei ein zentrales Thema für die Stadtentwicklung der City West – fangen wir endlich an, die Zukunft anzunehmen.

 

Wolf Uwe Rilke

Quelle: Jahresbericht 2022 Werkstadtforum

 

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Zonya Dengi

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