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30. Juli 2020 | Stadtplanung

Ethik in der Immobilienwirtschaft

In den vergangenen Wochen wurde aufgrund der aktuellen Pandemieereignisse die Frage nach der Zukunft unserer Gesellschaft diskutiert. Häufig ist hierbei die Rede von der notwendigen und nachhaltigen Anpassung unserer Zivilisation im Kontext von Pandemie und dem Klimawandel. Die Werte, die unser Handeln bestimmen und die Freiheit unserer Gesellschaft wurden diskutiert.

Was aber sind die Anforderungen bzw. Normen und Werte unserer Gesellschaft, um zu überleben? Ich erlebe in der Tat, eine an sich, auch ohne das Coronavirus, längst notwendige Debatte über die Werte unserer so genannten zivilisierten Gesellschaft.

Ich möchte kein Grundsatzreferat über die Thematik im Rahmen dieser, meiner Gedanken führen. Ich möchte vielmehr die Frage stellen, inwieweit wir eine moralische bzw. ethische Verhaltensnorm auch für unser berufliches Handeln benötigen, insbesondere welche ethischen Normen in der Immobilienwirtschaft erforderlich sind.

Damit stellt sich womöglich für manchen von Ihnen die Frage, welche Berufshaltung/ welche Berufsethik habe ich? Genau diese Fragen nach der Haltung des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen und die Frage des Umganges mit seiner Umwelt insbesondere im Beruf kommt heutzutage oft zu kurz. Was einmal den Philosophen leben ließ, ist zur Sphäre des Privaten und dann bloß noch des Konsums geworden, die als Anhang des materiellen Produktionsprozesses, ohne Autonomie und ohne eigene Substanz, mitgeschleift wird.

Theodor W. Adorno/ Minima Moralia

Ethik erscheint vielen Akteuren der Immobilienwirtschaft als Wertediskussion theoretisch notwendig, in der beruflichen Praxis zwischen Portfolio, Benchmarking und Facility Management jedoch geradezu antiquiert. Die Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Immobilienmärkte, die Entwicklung einer Immobilie oder eines Grundstückes, endet oft zwischen den Kennzahlen von Investition und Rendite.

Welchen Wert aber hat die Immobilie für die Gesellschaft? Die Komplexität des Verfahrens, das heutzutage im Rahmen einer Immobilienentwicklung entsteht, das Abwägen der unterschiedlichen sozialen, ökologischen und ökonomischen Belange im Rahmen der Planungsphase, ermüden so manchen Projektentwickler.

Was ist also gemeint, wenn man Ethik und Immobilienwirtschaft problematisiert?

Zunächst was bedeutet Ethik im ursprünglichen Sinn? Im Duden lesen wir unter Ethik (griech.), philosophisch: Disziplin, die Lehre von den Normen menschlichen Handels und deren Rechtfertigung. Das fragwürdig werden der gängigen Normen, der Sitten und Gebräuche, löst die Suche nach Rechtfertigung der alten, oder einer Begründung neuer sittlichen Normen aus. Albert Schweitzer definierte Ethik: Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt. Für mich ist die Ethik in der Immobilienwirtschaft die Verantwortung gegenüber dem Lebensraum, Voraussetzungen zu schaffen, um Lebensqualität zu ermöglichen. Ethik ist die Ehrfurcht vor dem Leben wie sie von Albert Schweitzer 1923 postuliert wurde.

Mit dieser Definition drückt sich eine positive und zugleich respektvolle Grundeinstellung zum Leben aus. Viele Menschen halten die Welt gerade wie sie sich angesichts dieser Tage darstellt, für nicht veränderbar, kapitulieren vor den Ereignissen, empfinden Angst, Skepsis vor der Zukunft. Doch Angst ist die Schöpferin vieler Mythen, vieler Religionen, Angst ist ein schlechter Ratgeber in diesen Stunden. Ich möchte uns darin bestärken in ihrem Beruf auch eine Chance zu erkennen die Gesellschaft aktiv zu verbessern. Eine offene und tolerante Berufshaltung ist die beste Voraussetzung für eine positive Berufskarriere.

Doch zunächst ein Blick in die Soziologie

Der Soziologe Norbert Elias, hat in seiner Arbeit über den Prozess der Zivilisation, wie ich finde, in einer nach wie vor lesenswerten soziologischen und psychologischen Untersuchung die Frage gestellt: Ist es möglich, die langfristigen charakterlichen Veränderungen beim Menschen, zusammen mit langfristigen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, auf einen höheren Standard der gesellschaftlichen Differenzierung und Integrierung zu bringen? Den Begriff des Zivilisationsprozesses bezieht Elias vor allem auf eine größere Festigung und Befriedung der Affekt- und Gewaltkontrollen, – etwa in Form des Vorrückens der Scham- und Peinlichkeitsschwelle – im Verhalten des Menschen.

Das aber, so scheint es, hat unsere Gesellschaft angesichts der heutigen Informationspolitik der Medien verloren. Der gesellschaftliche Wandel, erscheint als eine gleichsam zufällige, von außen herangetragene Störungserscheinung, eines normalerweise wohl ausbalancierten, tabulosen gesellschaftlichen Systems. Offensichtlich sind wir in unserer Gesellschaft an einem Punkt angelangt, wo wir unser Handeln erneut überprüfen und unsere Werte, auf die sich ständig verändernde Welt neu eichen müssen. Denn die Globalisierung und die damit verstandene Ökonomie verlangt nach einem neuen Wertesystem.

Wir stehen vor neuen ethischen Problemen.

Seit Jahrtausenden beeinflusst und verändert der Mensch seine Umwelt, um zu überleben. Durch intensive Nutzung und Ausbeutung der Ressourcen und zunehmendes Wissen entstehen ganz neue Dimensionen in der öffentlichen Diskussion. Der Dialog über die Zulässigkeit der Manipulation von menschlichen Genen zeigt diese ethische Problematik auf. Gleichzeitig scheitern wir an der Befriedung gesellschaftlicher und sozialer Konflikte, wie etwa im Nahen und Mittleren Osten. Die ökonomischen, kulturellen und sozialen Entwicklungen und Errungenschaften vollziehen sich nicht mehr parallel in den einzelnen Gesellschaften. Es gibt keine gegenseitige Beeinflussung oder Kontrolle mehr zwischen gesellschaftlicher und persönlicher Entwicklung der Menschen. Verstärkt wird diese Entwicklung durch eine sich vernetzende und globalisierende Welt deren Wertesystem nicht auf einem immateriellen System aus Ansprüchen und Verantwortung der Menschen untereinander beruht, sondern in Ansprüchen, die sich aus dem reinen materiellen Wertesystem ableiten lassen.

Der amerikanische Soziologe Richard Sennett schreibt zu dieser Entwicklung:

Flexibilität ist das Zauberwort des globalen Kapitalismus. Der flexible Mensch, stellt sich ständig neuen Aufgaben und ist immer bereit, Arbeitsstelle, Arbeitsformen und Wohnort zu wechseln. Also, fragt Sennett, muss diese Anforderung nicht in Konflikt geraten mit dem menschlichen Charakter, der auch auf Langfristigkeit, Verlässlichkeit und Entwicklung angewiesen ist. Wenn man keine Gewissheit mehr hat, keine langjährigen Freundschaften und Verbindungen entstehen können, dann entsteht das, was Sennett Drift nennt, das ziellose Dahintreiben eines jeden Einzelnen im Leben. Der Mensch verliert sich in einer globalisierten und entpersonifizierten Welt – ganz ohne Wertesystem.

Dabei ist jeder Einzelne von uns angesprochen persönlich Verantwortung zu übernehmen, nicht als isoliertes Individuum, sondern in der Verantwortung für gesellschaftliche Vorgänge. Die Veränderung der Gesellschaft zeigt sich auch im Verlust an Baukultur. Der Rückzug der öffentlichen Hand als Bauherr, ist zugleich Ausdruck, einer sich verändernden Gesellschaft, ohne eigene Identität in der Gestaltung der Innenstädte. Der internationale Stil der Architektur scheint beliebig und austauschbar zu driften. Immer gleich oder alles anders – Baukultur zwischen Globalisierung und lokaler Identität? Privatisierung der Baukultur erscheint das Gebot der Stunde. Regeln und Normen, die unser menschliches Handeln ermöglichen, werden eingeschränkt. Nur bei Gefahr wird der Ruf nach schützenden Normen laut.

Auch unsere Gesellschaft scheint oft gegenüber den globalen Anforderungen zu driften. Der lokale Lebensraum wird oft gleichgesetzt mit den Ansprüchen des globalen Wirtschaftsraumes. Aspekte im Umgang mit Natur und Boden, haben wir in Deutschland, in den letzten Jahren aufgrund der zahlreichen Umweltgesetzgebungen und des gesellschaftlichen Grundverständnisses verbessern können. Dabei sind neue im globalen Maßstab entwickelte Problemfelder entstanden. Im Zuge der Globalisierungsdiskussion ist die Frage von Kontrollmechanismen über die vorhandenen lokalen Ressourcen, und der daraus entstehenden qualifizierten Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen entstanden.

Die traditionelle Verantwortungsethik formuliert die Normen, die die Verantwortung der Menschen untereinander formuliert. Das heißt, die Nächstenethik wie wir sie aus der christlichen Ethik kennen - liebe deinen Nächsten wie dich selbst - wird heute aufgrund der Ausbeutung durch die wirtschaftende Generation um eine neue Dimension der sogenannten intergenerationellen Verantwortungsethik erweitert.

Angesichts der angesprochenen Problemausweitung hat die Ethik sich mit den zukünftigen menschlichen Existenzbedingungen im Lebensraum auseinander zu setzen. Es geht um die Prävention von zukünftigen Situationen. Sie ist damit dem Wesen nach spekulativ. Die Immobilie und die damit verbundene Projektentwicklung beinhaltet immer Zukunftsgestaltung in der Form und Gestalt von Architektur.

Die Architektur war zu allen Zeiten von dem Gedanken der Ordnung und der Utopie durchdrungen. Jede Epoche beseitigte die Überreste der alten Ordnung: Die Architektur war sinngeladen und mit jeder neuen Ordnung und neuen Umwälzung musste der Gesellschaftswandel durch den Abriss von Gebäuden oder den Wandel der Sitten und Gebräuche angezeigt werden. Die Planer und Erbauer waren die Organisatoren einer Neuen Welt. Der Architekt hatte eine gesellschaftliche Position, die er in Städtebau und Architektur zum Ausdruck brachte. Denken Sie nur an die zahlreichen Siedlungsprojekte der 1920er und 1930er Jahre. Welche vergleichbaren gesellschaftlich relevanten Positionen finden wir heute in der Architektur?

Immobilien wie der Potsdamer Platz sind Ausdruck von unserem momentanen gesellschaftlichen Anspruch an Stadt. Sie sind Ausdruck und Sinnbild eines modernen, von Investoren geprägten, Stadtbegriffes. Die Diskussion über die Interessen der Öffentlichen Hand, über Architektur, Raumansprüche und Nutzungsrechte haben in Berlin zu einer kritischen Diskussion geführt und sind zugleich Bestandteil der gesellschaftlichen Diskussion über die Zukunft der Stadt im 21. Jahrhundert.

Dahinter steckt für mich die Frage, welche ethischen Urteile bzw. Anforderungen lassen sich grundsätzlich an eine Immobilie richten? Also, die Frage nach der Norm des menschlichen Ausdrucks in Form von Gebäuden, der damit verbundenen Nutzung und deren Rechtfertigung.

Für vergangene Epochen und Kulturen gab es diese Rechtfertigung.

Für die Römer gab es eine klare Trennung zwischen privatem und öffentlichem Raum und der daraus resultierenden Ordnung in der Stadt. Die res private war der Wohnbereich, der von den heiligen Stätten und dem öffentlichen Raum abgeschnitten war. Diese Grundstruktur der Stadt von öffentlichem und klar abgegrenzten privatem Raum, gibt es nicht mehr. Der moderne, flexible und globalisierte Weltenbürger versteht sich als Kosmopolit und ohne jede Bindung an eine Kultur oder Norm. Hegel hat diesen Zustand bereits beschrieben: Man verlässt den Privatraum und geht in den öffentlichen, um die Welt zu erobern, und verliert sich dabei. Dann kehrt man aus dem öffentlichen Raum nach Hause zurück, um sich wiederzufinden und verliert die Welt dabei.

Die Gemeinde, die Stadt definiert die sozialen und persönlichen Dimensionen des Ortes. Ein Ort wird zu einer Gemeinde zu einer Stadt, wenn Menschen von Wir zu reden beginnen, schreibt Richard Sennett. So zu sprechen setzt Bindung voraus, im Kleinen wie im Großen. Die Entwertung eines Ortes, an dem man zugleich arbeitet und wohnt, ist zugleich mit dem Verlust an persönlicher Identität verbunden. Der Nutzwert, bzw. der Marktwert einer Immobilie lässt sich vortrefflich über die städtebauliche und architektonische Qualität, sowie über seine Wirtschaftlichkeit ermitteln. Doch die gesellschaftliche Relevanz bzw. Tragfähigkeit sollte dabei stärker berücksichtigt werden.

Die Realisierung einer Immobilie impliziert zunächst die Planung, d.h. die Auseinandersetzung mit der Zukunft. Ohne diese Zukunftsdimension, ohne die Entwicklung einer konkreten Utopie, einer positiven Annahme von Zukunft, ist die Realisierung und Vermarktung der Immobilie undenkbar. Auf dieser Planung als Auseinandersetzung mit der Zukunft lastet aber auch die Ungewissheit. So wird versucht, in der Planung durch Prognosen, bestimmte Entwicklungen abzuschätzen.

Die Projektentwicklung einer Immobilie und insbesondere die Planung legen fest was, wie und für wen entwickelt wird. Die damit verbundene Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bzw. dem Gemeinwesen ist von öffentlichem Interesse. Die Planung setzt sich mit dem besonderen Gegenstand des Raumes im Sinne des Lebensraumes auseinander. Die Planungsphase der Immobilie muss sich stärker mit den Fragen der Lebensvoraussetzungen sowie mit der Mehrung der Lebensqualität in einer zukünftigen Dimension beschäftigen.

Die Immobilienwirtschaft kann sich vor diesem Hintergrund nicht darauf beschränken, Planungsziele und plakative Vermarktungsmaßnahmen zu entwickeln. Sie hat vielmehr aus der skizzierten Verantwortung heraus die Ausrichtung zu berücksichtigen, die zukünftige Generationen nicht zu belasten. Das kann Zurückhaltung, bis hin zum Verzicht der Entwicklung bedeuten.

Die sich abzeichnenden Konflikte zu regeln und zu erkennen ist auch Aufgabe einer verantwortlichen Immobilienentwicklung. Diese Berufshaltung führt letztlich zu Normen für den sorgfältigen Umgang mit den Lebensvoraussetzungen. Eine Immobilie ist immer auch die Qualität eines anvertrauten Gutes, dem in der Verantwortung für das Leben zu begegnen ist.

Das Gebot des Handelns in der Immobilienwirtschaft liegt in der Berücksichtigung der Zukunft kommender Generationen, ohne dabei dieses als moralische Last zu empfinden. Ethik wird angesichts der zahlreichen Anforderungen, die heute im rechtlichen und immobilienwirtschaftlichen Sinne existieren, dann als moralische Last empfunden, wenn sie als gesetzliche Vorgabe verstanden wird. Viele Akteure empfinden die aktuelle Diskussion im Städtebau, insbesondere um den Begriff der Nachhaltigkeit, ebenso als Etikettenschwindel wie die in den 1980er Jahren die ökologisch orientierte Diskussion. Die kritische normative Reflexion über das eigene Handeln, beruflich wie privat, sollte nicht als zusätzliche Hürde empfunden werden, sondern spontanes und flexibles Handeln eines jeden Menschen hervorrufen.

Offenheit und die Befähigung zuzuhören sind Kommunikationsformen, die zu oft im Zeitalter von beschleunigter Kommunikation fehlen. Uns fehlt die Fähigkeit die Dinge von Außen zu betrachten. Der römische Kaiser Marc Aurel schreibt dazu in seiner Selbstbetrachtung:

Gewöhne dich, auf die Rede eines anderen genau zu achten und versetze dich soviel wie möglich in die Seele des Redenden.

Kaiser Marc Aurel

Die Ethik der Immobilienwirtschaft erschöpft sich nicht in der Aussage über die Ehrfurcht vor dem Leben. Sie verweist auf weitere grundlegende Normen und Werte, darunter solche die nicht näher begründet werden müssen, da sie von vernünftigen Menschen Unterstützung finden, wie etwa Niemandem schaden, Gleiches ist gleich, Ungleiches ist ungleich und ehrbar leben.

Diese allgemein anerkannten Grundsätze gelten gerade auch für die Immobilienwirtschaft. Die ethische Ausrichtung macht die Immobilienwirtschaft nicht schwieriger, sie beinhaltet eine zusätzliche und interessante Aussage und schafft langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Zudem kann sie das Gespräch mit den Entscheidungsträgern auf allen Ebenen positiv beeinflussen.

Wir benötigen eine neue, von allen gesellschaftlichen Schichten getragene, Diskussion über unser Handeln und dessen Auswirkungen. Ich wünsche mir, für uns alle, eine neue anhaltende, nachhaltige und lebendige Diskussion über die Werte unserer Zukunft, nicht die Angst vor dem Ungewissen, sondern die Freude das Leben mitgestalten zu können.

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Handeln Wir danach, wenn Wir für andere tätig sind.

Dipl.-Ing. Wolf Uwe Rilke, Stadtplaner

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